Blog | Vermischtes | Burnout

Burnout

Wenn Deine Seele um Deine Werte kämpft. Mein Erfahrungsbericht

Dieser Artikel über meine Burnout-Erfahrung erschien 2020 auf dem Blog einer Bekannten, der unsere Arbeitswelt zum Thema hatte. Die Website ist inzwischen stillgelegt, sodass ich den Artikel überarbeitet nun hier veröffentliche.

Die beschriebene Lebensphase von 2010 bis 2012 ist ein Teil von mir und hat mich maßgeblich geprägt. Meine Einstellung zur Arbeit ist und bleibt ein Thema in meinem Leben.

Und vielleicht findest Du Dich hier wieder, weil Du eine ähnliche Erfahrung gemacht hast.

Zierde Buch

2011 habe ich meine Festanstellung als Referentin Personal- und Organisations-entwicklung ohne Plan B gekündigt. Vorausgegangen war eine zweijährige Burnout-Phase.

Seitdem bin ich selbstständige Lektorin für Fach- und Sachbücher – und wieder mit mir im Reinen.

Ein Erfahrungsbericht

Zierde Buch

Was ist Burnout nicht?

Aus meiner Sicht entsteht ein Burnout nie aus reiner Arbeitsüberlastung. Vielmehr kommen mindestens zwei Entwicklungen zusammen:

  • Dein Körper brennt von innen aus. Unübersehbare Symptome sind beispielsweise Entzündungen. Bei mir stellte sich eine nach der anderen ein: Schulter, Augen, Zahnfleisch. Geschwächtes Immunsystem. Die Seele kann sich nur noch über Krankheiten Gehör verschaffen.
  • Deine Werte werden mit Füßen getreten – auch von Dir selbst. Du definierst Dich sehr über den Beruf und gerätst nun in eine Situation, in der Du den Sinn der Arbeit nicht mehr siehst und Deine Werte keinen Raum mehr haben. Außerdem bist Du perfektionistisch veranlagt und gibst weiterhin alles – obwohl der Sinn verschwunden ist. Es entsteht das Gefühl der totalen Überlastung und Erschöpfung.

Wie merkte ich, dass ich gegen meine Werte arbeitete?

Meine Alarmzeichen, an die ich mich auch heute noch erinnere, als wäre es gestern gewesen:

  • Morgens wachte ich auf und geriet schon in Panik, wenn ich an das Programm dachte, das nötig war, um das Haus zu verlassen: duschen, Kleidung auswählen, mit dem Zug zur Arbeit fahren. Ich war erschöpft und hatte Angst, das nicht zu schaffen. Manchmal war ich bei dem Gedanken daran schon in Tränen aufgelöst.
  • Angekommen am Firmengebäude, hatte ich das Gefühl, dass an der Konzernpforte eine Hälfte meiner Persönlichkeit abzugeben und draußen zu lassen ist. Ich bekam eine Idee davon, was eine gespaltene Persönlichkeit sein könnte: Es war erschreckend.
  • Abends und am Wochenende lag ich nur noch auf dem Sofa, hatte keine Kraft mehr, meine sozialen Kontakte zu pflegen, und konnte mich nicht mehr in gewohnter Form um meinen Haushalt kümmern. Meine ebenfalls berufstätige Mutter kam an ihrem freien Tag, um in meiner Wohnung Fenster zu putzen. Für mich war der Tiefpunkt erreicht.

Welche Rolle spielt der Arbeitgeber?

Meistens kann dem Arbeitgeber keine Schuld für ein Burnout gegeben werden (ja, ich weiß, eine gewagte These im Burnout-Diskurs!), jedoch ist er niemals unbeteiligt.

Bestimmte Bedingungen fördern den Eindruck des betroffenen Mitarbeitenden, dass die eigenen Werte keinen Raum im Arbeitsalltag mehr haben.

In meinem Fall verschärfte mein Arbeitsplatz in einem Großraumbüro meine Situation in dieser Phase. Denn ich brauchte für meine Aufgabe des konzentrierten Lesens und Schreibens Stille. Um mich herum saßen überwiegend Kollegen, die viel telefonieren mussten. In dieser Lärmkulisse konnten die verschiedenen Bedürfnisse nicht miteinander vereinbart werden. Heute weiß ich und ist über Studien erwiesen, dass Lärm krank machen kann. Gespräche darüber gab es und fruchteten auch – allerdings erst nach sehr langer Zeit. Davor regierte Hilflosigkeit.

Zierde Buch

Wie konnte ich mich befreien?

An den Tag, als ich mich entschied zu kündigen, erinnere ich mich wie heute. Das Fass war (im Außen) übergelaufen. Mir war auf einmal glasklar (abends, erschöpft, im völlig überfüllten Pendlerzug), dass ich ohne Veränderung sehr ernst erkranken würde. Und plötzlich fühlte ich, dass die Kraft für die nächsten Schritte da sein würde.

Meine Krankheits- und Erschöpfungssymptome verschwanden erst nach der Kündigung. Sofort nach dem Gespräch spürte ich eine totale Befreiung.

Aufgegeben habe ich viel:

  • fast 15 Jahre Betriebszugehörigkeit
  • einen Festvertrag mit heute nicht mehr existenten, schützenden Kündigungsfristen
  • zwei Vorgesetzte, mit denen ich trotz der Differenzen in der Debatte um einen ruhigen Arbeitsplatz insgesamt sehr gut zurechtkam
  • ein Team von (überwiegend) Kolleginnen, das ich in dieser gemeinschaftlichen Form nie wieder finden würde

Und doch war der Abschied unerlässlich.

Ich sprang – ohne Plan B zum Zeitpunkt der Kündigung fertig ausgearbeitet zu haben. Aber länger warten konnte ich nicht.

Selbstständig machte ich mich mit etwas, das ich aus dem Stegreif (ohne neue Aus- oder Weiterbildung, aber mit jahrelanger Erfahrung und einem gewissen Talent) gut konnte: zunächst als Lektorin für Fach- und Sachtexte, später wandelte sich der Schwerpunkt in Fach- und Sachbücher. Und ich habe es bis heute nicht bereut.

Zierde Buch

Was sind meine Erkenntnisse?

Die beschriebene Phase war nur der Anstoß, über meine Art des Arbeitens, des Lebens und über meine Werte nachzudenken. Die Merkmale meines Perfektionismus, z. B. ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle und Planung, waren nicht plötzlich verschwunden.

Es brauchte noch eine weitere Situation während meiner heute erfolgreichen Selbstständigkeit, um zu erkennen, dass ich gar nicht alles kontrollieren muss und dass es trotzdem immer weitergeht. Dadurch habe ich gelernt, dem Fluss des Lebens zu vertrauen. Dieses Vertrauen hatte mir bis zu diesem Zeitpunkt komplett gefehlt.

Diese Erkenntnis hat die Basis dafür gelegt, dass ich heute Warnzeichen erkenne und mich weiterentwickele: Es geht darum, gut für mich selbst zu sorgen und nicht erneut in einen alles überwältigenden Funktioniermodus zu verfallen.

Kopfmenschen wird das bekannt vorkommen. Für mich ist es jeden Tag wichtig (und wird es wohl immer bleiben), dass ich Pausen einplane und allen Teilen der Seele einen Raum gebe.

Wie mache ich das? Indem ich täglich meditiere, möglichst täglich frische Luft tanke sowie Yoga praktiziere (die entspannendere Variante Yin Yoga). Außerdem plane ich Auszeiten fest ein, sonst „vergesse“ ich sie oder finde Ausreden (denn die gibt es für Selbstständige immer).

Die Werte, die mich in starkem Maße ausmachen, sind Freiheit und Selbstbestimmung. Mit der Selbstständigkeit habe ich nun die passende Arbeitsform gefunden.

Viele sagen immer wieder: „Wie mutig, dass du gekündigt hast!“ Auf der rationalen Ebene konnte ich den Satz damals verstehen, aber erst heute kann ich den Mut auch selbst so empfinden. Damals war es die einzige Option, um (seelisch und später sicher auch körperlich) zu überleben. Die Formulierung mutet dramatisch an. Aber genau das war es – und nicht weniger.

Im Nachhinein betrachtet bin ich sehr dankbar für diese akute Episode in meinem Leben. Sie ermöglicht mir, heute ein viel bewussteres und zufriedeneres Leben zu führen – und hat den Startschuss für meine persönliche Weiterentwicklung gegeben. Ohne die Krise hätte ich einen sehr wertvollen Teil von mir gar nicht entdeckt.

Zierde Buch

Was rate ich anderen?

Realisiere so früh wie möglich, dass Du selbst etwas tun musst. Je länger Du verharrst, umso tiefer dreht sich die Negativspirale – physisch wie psychisch. Eine gute Idee ist es, sich Hilfe zu suchen. Oft unterstützt eine erfahrene Hausarztpraxis oder ebnet den Weg zu Spezialisten.

Ganz ohne Veränderung der Lebensumstände wird es wahrscheinlich auch mit Unterstützung nicht gehen. Denn etwas für Dich ganz Essenzielles ist aus den Fugen geraten, und Du wirst dafür sorgen müssen, dass Deine Seele wieder ins Gleichgewicht gerät.

Zierde Buch

Du möchtest Dich mit mir über das Thema austauschen?

Dann schreibe mir gern eine E-Mail:

mail@isabelle-romann.de.

Isabelle Romann

Du möchtest den Artikel ausdrucken? Dann bitte hier entlang:
Burnout_mein Erfahrungsbericht